Die Corona-Pandemie treibt die Digitalisierung in deutschen Kliniken voran. Noch liegt aber viel Arbeit vor dem Gesundheitswesen. Es braucht ein Umdenken im Aufbau der Gesundheits-IT. Wie die digitale Transformation gelingen kann.
Digitaler Impfnachweis, mehr Videosprechstunden und die Corona-Warn-App: Im deutschen Gesundheitssystem tut sich etwas. Maßgeblicher Treiber ist die Pandemie, die die Diskussion um mehr Digitalisierung entscheidend beschleunigt. Dabei setzt sich eine Erkenntnis durch: Eine gute Datenlage ist für eine effektive Virus -bekämpfung unabdinglich. Doch genau hier besteht in Deutschland Nachholbedarf.
Im Januar schlug der Expertenrat der Bundesregierung Alarm. In Deutsch-land sei die Datenlage zu Corona-Infektionen so mangelhaft, dass man sich an internationalen Unter-suchungen bedienen muss, um die Situation hierzulande besser einschätzen zu können. In anderen Ländern, etwa in Dänemark, werden Daten in Echtzeit erhoben und tragen dadurch zur effektiven Pandemiebekämpfung bei, heißt es in der Stellungnahme. Was steckt hinter dieser kritischen Bilanz?
Status quo: lokale Daten statt Zusammenarbeit
Der Expertenrat stellt mit Blick auf die Corona-Pandemie ein generelles Problem des deutschen Gesundheitswesens fest: Es fehlt an einheitlichen Systemen, die einen Datenaustausch zwischen Kliniken, Institutionen und Gesundheitsunternehmen ermöglichen. Der springende Punkt: Die meisten Krankenhäuser und Praxen arbeiten mit ihren eigenen, speziellen Systemen, in denen auch die Gesundheitsdaten gespeichert sind. Das erschwert deren Standardisierung. Statt eines umfangreichen Datenaustauschs liegen die Informationen in den lokalen Dateninseln des jeweiligen Betreibers.
An dieser Stelle reicht es jedoch nicht, die Daten von System zu System zu senden. Von wahrer Interoperabilität kann erst dann die Rede sein, wenn verschiedene Programme auf denselben Daten arbeiten. „Neue Daten erfordern neues Denken“, sagt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. „Die Algorithmen müssen zukünftig zu den Daten gehen und nicht die Daten zu den Algorithmen.“
Deutscher FortschrittsHub: Datenaustausch in der Kardiologie
Mehr digitale Kooperation hätte enorme Vorteile für alle Beteiligten. Das Fachpersonal vor Ort kann durch eine größere Datengrundlage bessere Diagnosen stellen und Erkrankte passender behandeln. Die Patientinnen und Patienten bekommen die volle Transparenz über ihre Daten und haben so die eigene Gesundheit stärker im Blick. Darüber hinaus profitiert auch die Forschung. Durch eine effiziente Datennutzung entstehen neue Perspektiven und Studienmöglichkeiten, die die Gesundheitsversorgung von morgen spürbar verbessern werden. Die gute Nachricht: Die Anzahl an zukunftsweisenden Projekten nimmt zu. Hierzulande hat sich unter anderem die Better Deutschland GmbH den digitalen Herausforderungen einer besseren Datenverfügbarkeit angenommen. In Berlin ist das Unternehmen an einem Projekt beteiligt, das als Vorreiter für mehr Interoperabilität dienen kann. Erste deutsche Krankenhäuser arbeiten an einem Austausch von Gesundheitsdaten über Klinikgrenzen hinweg. In Berlin wollen einige Kliniken im Rahmen eines FortschrittsHubs unter anderem die Interoperabilität in der Kardiologie voranbringen. Ein Fokus liegt da bei auf dem Austausch von Routinedaten, um die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern.
Better Deutschland unterstützt dieses Vorhaben mit seinen IT-Lösungen. Die so genannte Better Platform basiert auf dem internationalen openEHR-Standard (electronic health records) und ermöglicht allen beteiligten Akteuren die Zusammenarbeit und einen sicheren Datenaustausch. Das Besondere dabei ist, dass die Gesundheitsdaten außerhalb der Programme und somit herstellerneutral gespeichert werden. So können verschiedene Programme mit denselben nativen Daten arbeiten und Synergien schaffen.
Das ermöglicht auch die Nutzung innovativer Apps. So stand etwa die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) im Rahmen eines Interoperabilitätsprojekts in der Kardiologie vor der Herausforderung, dass die Anamnesedaten der Patienten mit Herzinsuffizienz nur als einzelne, unstrukturierte Arztberichte vorlagen. Mithilfe von ‚Better Studio‘, einem zentralen Bestandteil der Better-Plattform, konnte die Kardiologie Abteilung in wenigen Tagen eine digitale Antwort darauf finden: Die Kardio-Anamnese-App der MHH erfasst die Gesundheitsdaten im einheitlichen openEHR- Format und er leichtert dadurch den Arbeitsalltag. So können die Daten zum Beispiel direkt bei der Befragung am Krankenbett zentral gespeichert und für die nächsten Schritte des Versorgungsprozesses bereitgestellt werden. In Zukunft sollen die neugewonnenen Daten auch die medizinische Forschung fördern.
Stadtweite Vernetzung in London
Die britische Hauptstadt London geht noch einen Schritt weiter. Dort sollen die Gesundheitsdaten aller Londoner strukturiert und kompatibel erhoben werden. Mit dem Projekt „OneLondon“ wagt die Metropole eine digitale Neuaufstellung ihres Gesundheitssystems: In den kommenden Jahren werden alle Gesundheitseinrichtungen in der Region vernetzt. Dank openEHR stehen die Gesundheitsdaten dann den Londoner Kliniken und Praxen herstellerneutral und interoperabel zur Verfügung. Das Unternehmen Better UK begleitet das Projekt als Technologiepartner.
Auch wenn das britische Gesundheitswesen sich vom deutschen Pendant unterscheidet: Das Projekt zeigt, in welchen Dimensionen die digitale Transformation gedacht werden kann. Von der einzelnen Klinik-Abteilung über ein Netzwerk aus Partnern bis hin zu einer stadtweiten oder gar nationalen Vernetzung sind intraoperable Lösungen wie die Better Platform auf jedes Projekt skalierbar.
Die Bemühungen, mehr Digitalisierung und Interoperabilität umzusetzen, werden künftig noch wachsen. Denn auch die Politik hat die hohe Relevanz einer strukturierten Datenverfügbarkeit erkannt. Aktuell weitet das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Medizininformatik-Initiative (MII) aus. Das Förderprogramm soll die datenbasierte Gesundheitsforschung in Deutschland vorantreiben und die bundesweite Grundlage für eine intraoperable Zusammenarbeit der Gesundheitsakteure bilden.
Durch die Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen kann die digitale Transformation künftig schneller vorangetrieben werden. Die Erkenntnis, dass interoperable Lösungen und Projekte die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens sind, ist ein wichtiger Grundstein für eine optimale Patientenversorgung. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Gesundheitsdaten sehr viel langlebiger sind als die Programme, die mit diesen Daten arbeiten. Deshalb ist es so wichtig, dass die Daten künftig standardisiert, strukturiert und herstellerneutral gespeichert und verarbeitet werden. Dies eröffnet auch neuen Anwendungen und Apps einen deutlich beschleunigten Zugang.
Erfolgsfaktoren
Die Relevanz des Themas anzuerkennen, reicht allein allerdings nicht aus. Die deutsche Digitaloffensive muss weiter ausgebaut und um neue Projekte erweitert werden. Damit einher sollte ein Umdenken in der Gesundheits-IT gehen. Neue Vorhaben brauchen eine Planung, die den interoperablen Gedanken von Anfang an mit einbezieht und alle relevanten Stakeholder einbindet. Statt zuerst an den Nutzen für die lokale Anwendung vor Ort zu denken, müssen Entscheider ihre Fahrpläne nach einem effizienten Datenaustausch ausrichten – denn das hilft bei der Patientenversorgung und Mitarbeiterentlastung am Ende wirklich.
Dieser langfristige Prozess wurde jetzt angestoßen. Die Corona-Pandemie hat die Notwendigkeit von Digitalisierung mehr denn je gezeigt. Mit digitalen Gesundheitslösungen wie der Better Platform steht die technologische Seite bereits in den Startlöchern. Jetzt gilt es, die neuen kompatiblen Strukturen auch in die deutschen Kliniken, Praxen und Institutionen zu bringen.
Der Artikel ist in der 04/2022 Ausgabe vom KTM Krankenhaus Technik + Management erschienen.